Metaltrichter für Zielscheiben, Leuchtmittel, Kabel, Glas, Fotos hinterleuchtet, Zeitschriftenhalter und Abschriften, Podest, Wandfläche ca. 250 x 900 cm
X-Ray-Fehlschuss, 2024
Installationsansicht: Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken 2024
Ausgangspunkt der Arbeit „X-Ray-Fehlschuss“ war die Frage, wie wir uns erinnern und wie Vergangenheit durch historische Zeugnisse und ihre Materialität in die Gegenwart geholt werden kann. In seiner Installation bezieht sich der Künstler auf Ereignisse aus der Zeit nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871, als der Begriff Antisemitismus etabliert und für die politische Debatte instrumentalisiert wurde. Per definitionem bedeutet „Antisemitismus“ eine bestimmte negative Sicht auf Jüdinnen und Juden, denen verallgemeinernd Eigenschaften zugeschrieben werden, anstatt sie als einzelne Individuen wahrzunehmen.
Um die Antisemitismus-Diskussion der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen und dafür ein künstlerisches Bild zu entwerfen, hat Daniel Hausig auf Fotografien zurückgegriffen, die 1939 in einem radiologischen Lehrbuch (Positioning in Radiography) veröffentlicht wurden. Diese Bilder zeigen Modelle, mit denen die optimale Positionierung des menschlichen Körpers für die Anfertigung von Röntgenaufnahmen dargestellt wird. Indem der Künstler das Fotomaterial als hinterleuchtete Bilder in Schießkästen präsentiert, werden die gezeigten Personen nicht als Individuen, sondern stärker in ihrer anonymen Funktion als Demonstrationsobjekte – und noch dazu in Kombination mit Zielscheiben – inszeniert.
Die kurz nach der Reichsgründung entstandenen Diskussionen, die Antisemitismus als politisches Programm beförderten und ein „ethnisch homogenes“ Deutschland forderten, erwiesen sich zwei Generationen später als Wegbereiter für die ersten „ethnischen Säuberungen“ durch deutsche Truppen im besetzten Polen, bei denen Tausende von Pol*innen, Jüdinnen und Juden, Zivilist*innen und Kriegsgefangene ermordet wurden. Insofern stehen die abgebildeten Modelle und die Zielscheiben symbolisch für Tausende von Einzelschicksalen, allen voran Jüdinnen und Juden, die zu konkreten Zielen stereotyper Eigenschaftszuschreibungen und tödlicher Gewalt wurden.
Die Arbeit X-Ray-Fehlschuss basiert auf Funden, die der Künstler im eigenen familiären Nachlass machte. Zwei der gezeigten Objekte bestimmen den historischen Kontext der Installation wie eine zeitliche Klammer: Zum einen zeigt Hausig eine Fotografie, die sein Großvater, Paul Wilhelm Hausig (1914-1978), 1939 als Soldat während der Deportation der jüdischen Bevölkerung in Lodz (Polen) ins Ghetto Litzmannstadt gemacht hat. Zum anderen zeigt er eine Publikation seines Ur-Ur- Großonkels Ferdinand Hausig (1831-1895), der seinen Vortrag »Christ und Jude – wider den Judenhass« im Jahr 1878 in Berlin veröffentlichte. Dieser Text entstand im Kontext der beginnenden Antisemitismus-Debatte und ist eine Antwort auf antisemitische Schriften, wie beispielsweise Richard Wagners Text »Was ist Deutsch?« (1865/1878), dessen Text als Objekt der Installation beigefügt ist.
Was den Text von F. Hausig von anderen Autoren unterscheidet, ist, dass er die Jüdinnen und Juden als Menschen verteidigt und aus dem Verständnis einer universellen christlichen Ethik der Nächstenliebe der rassistisch und pseudowissenschaftlich begründeten „Andersartigkeit“ von Jüdinnen und Juden als Gruppe widerspricht. Nach Auffassung des Künstlers weist die historische Debatte von damals strukturellen Ähnlichkeiten zu heutigen Diskussionen auf, in denen der Begriff Antisemitismus erneut mit gesteigerter emotionaler Aufladung verwendet wird.